Die kleinen Freuden im Leben
Ich wünschte, ich würde dieselbe Euphorie verspüren auf einen Networking-Event zu gehen, wie die Nachwuchsmodels bei der diesjährigen amfAR-Gala. Schwingt da jedoch weit weniger die Freude über Gratis-Snacks und die bald in Sichtweite tretende Prominenz mit, als das glorreiche Versprechen, sich eventuell durch die Einladung auch ein Ticket fürs Finale zu sichern. Und so sehen sich Vanessa und Cäcilia bereits als klar gehandelte Anwärterinnen auf den GNTM-Thron, ohne den über ihren Köpfen herumschwirrenden Drachen und Cersei Lennisters auch nur geringste Beachtung zu schenken. Sind sie doch die Auserwählten ihre Modelmama auf den roten Teppich zu begleiten und erste Reihe fußfrei mitzuerleben, wie sehr alle Paparazzi Fotos von Heidi machen wollen, nicht aber von ihnen.
Aber man will ja nicht undankbar sein, also beginnt sich Cäcilia bei ihrer Ankunft in New York für schlichtweg alles zu begeistern. „Sogar die rauchenden Gullis finde ich ganz toll“, erklärt sie Heidi, die künftig etwas weniger Aufwand für Geschenke betreiben wird, wenn sogar ein dampfender Kanal positiv honoriert wird. Als dann aber auch noch Kim Kardashian sich fünf Minuten Zeit nimmt, mit den Models zu plaudern, rasten die völlig aus. Ohne zu bedenken, dass die es wahrscheinlich bitter notwendig hat, bei der jüngeren Zielgruppe mal wieder einen Stich zu landen, seit ihr der jüngste Kardashian-Spross Kylie mit unabschminkbarem Lippenstift die Pole-Position abgerungen hat. Dass sie außerdem wahrscheinlich allein für ihr „Hi, girls“ gerade zwölfeinhalbtausend Dollar abkassiert hat, sei hier nur nebenbei erwähnt.
One Day with Paris
Haben die Models am Vortag die eine Cash-Queen hautnah erleben dürfen, deren Ruhm auf vermögenden Eltern und einem schlecht produzierten Pornofilm beruht, so bekommen sie am nächsten Morgen gleich die nächste zu Gesicht: die verschollen geglaubte Paris „that’s hot“ Hilton! Passenderweise jault Adele „This is the end, hold your breath and count to ten“ im Hintergrund, als die Hotelerbin am Set anrollt.
Paris ist jedoch nicht hier, um ihr „New BFF“ zu finden, wenn auch Asia-Fotograf Yu Tsai alles dafür gegeben hätte. Sie „möchte“ die Mädchen an ihrer Erfahrung teilhaben lassen – können die doch so viel von ihr lernen. Etwa wie man Kleinratte Tinkerbell alle paar Jahre mit einem fideleren Hündchen ersetzt, ohne dass es auch nur irgendein Mensch registriert. (Tinkerbell die Erste ist übrigens ziemlich genau vor vier Jahren, am 22. April 2015, unbemerkt von uns gegangen – möge sie in Frieden ruhen.)
Die Models sind beim Eintreffen der Blondine aber erst damit beschäftigt abzuwägen, wer das denn sein soll, der gerade mit solch überschminktem Gesicht und gepflegter Perücke auf sie zukommt.
Hätte sich schließlich auch die Drag-Queen-Edition ankündigen können, die allerdings erst kommende Woche auf dem Programm steht. Paris erlöst die vor sich hinrätselnden Models mit einem „Hi, it’s
me, Paris!“. Vanessa packt ihr Leben nach so viel eingesaugter Prominenz gar nicht mehr und pirscht sich gebückt von der Seite an, um sicherzugehen, dass es sich wirklich hier um jenen Star
handelt, der einst im Horrorschinken „House of Wax“ eine oscarwürdige Performance abgelegt hat.
„Paris ist unsterblich!“, schwärmt Simone, die „House of Wax“ und den Pflock, der sich damals durch ihren Schädel bohrte, wiederum nicht gesehen haben dürfte. Abgesehen davon handelt es sich bei
Paris Hilton um ein 38-jährig munter flanierendes Socialite und nicht um eine wie Audrey Hepburn vor über 25 Jahren verstorbene Schauspielikone, deren Unsterblichkeit zumindest damit gesichert
ist, dass Ikea mit ihrem Schwarz-Weiß-Porträt noch immer Unsummen verdient, dieses an jeden zweiten Haushalt zu verkaufen.
The simple life
Wie es ist, sich an Paris Hiltons Seite behaupten zu müssen, erfahren die Mädchen später nicht von der langzeitgeschädigten Nicole Richie, sondern am eigenen Leib. Haben sie die Ehre, bei einer von Paris‘ begnadeten Schaumpartys gemeinsam mit der Erbin zu shooten. Jedoch nicht in Ibiza, seitdem Heidi weiß, dass die Models genügsamer sind als angenommen, sondern in einer Lagerhalle. Auch schön.
Dass Paris aber alles andere als blöd ist, beweist sie nicht nur mit ihrer Wahl an Lebenspartnern, sondern damit, dass die sich doch keinesfalls ebenbürtig neben einem Haufen potentieller Topmodels ablichten lässt. Also bleibt sie modebewusst in ihrem Glitzerkleidchen von Balmain, während die Models in einen hautfarbenen mit Blubberblasen übersäten Ganzkörperanzug schlüpfen „dürfen“. So sei es. Als dann aber auch Hair & Make Up ihr Übriges verrichteten, reißt selbst den Models der Geduldsfaden. „Die war so richtig gut geschminkt und ich war eher so Kindergeburtstag!“, bringt es Sarah auf den Punkt.
Fotograf Yu Tsai hingegen ist Fan. Zumindest von Paris. „Look at her, how she is doing it“, empfiehlt er den Mädchen. Dass Paris aber mit ihrer Seifenblasenpistole den Models regelmäßig ins Po-Loch oder in den Schritt zielt, dürfte dem Fotografen und dessen ästhetischem Auge entgangen sein.
Als Inderin Sayana am Set erscheint, zeigt Paris überraschenderweise Interesse und fragt nach ihrer Herkunft. „Ich finde es toll, dass Paris keine Berührungsängste hat!“, schwärmt Sayana. Vor was? Vor Indern? Ge, wo? War Paris doch bestimmt mindestens genauso oft in Indien wie Modelmama Klum. Spätestens im Zuge ihres Reality-TV-Formats „The simple life“, um dort einmal mit der Bahn gefahren zu sein oder so.
Die Tränen der Tatjana
Bei Tatjana und Lena macht sich Paris aber dann doch nicht mit ihrer Nahbarkeit berühmt. Kommt die gar nicht hinterher „nicht berühren“ zu sagen, als Lena wieder nicht den Unterschied zwischen Modeln und einer Hyperaktivitätsstörung erkennt. Auch beim Entscheidungswalk läuft es nicht besser für die beiden. „Warum schaut Tatjana so traurig?“, bemängelt Heidi. „Vielleicht weil man ihr eine blutige Träne auf die Wange gemalt hat?“, merkt meine Schwester Bianca beim gemeinsamen Schauen treffend an.
Lena versucht sich indessen anders über Wasser zu halten: Mit Verleugnung. „Ich kann nicht rausfliegen, ich mein’s ernst!“, spricht sie sich zu. Doch du kannst, liebe Lena. Und du wirst. Denn Heidi hat diesmal endlich kein Foto für dich, von dem – in Anbetracht der miserablen Fotoqualität – deine Modelmappe auch keinen Schaden nehmen wird. Bleibt jetzt endlich wieder mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben: Eine Achtzehnjährige und das gesamte Prosieben-Team wegen einer Ohrfeige zu verklagen zum Beispiel, oder endlich den abgebrochenen Haaren genügend Zeit geben nachzuwachsen, ohne dass am Morgen der nächste Stylist vor der Türe steht, der sie dir wieder auftoupiert.
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