Germany's Next Topmodel - Staffel 15 Das Finale

Wieder geht ein teils erfreulicher, teils schmerzlicher Zyklus zu Ende, wobei sich Heidi für gewöhnlich das Schmerzhafteste für den Schluss aufspart. Doch nix da mit nackten Männer-Oberkörpern und Spontanhochzeiten – Corona bedingt muss dieses Finale zur Abwechslung etwas bedächtiger und familienfreundlicher ausfallen. Also moderiert die als Videowall in einem Koffer platzierte Heidi wie in einer Prosieben-Variante der Augsburger Puppenkiste live und meist ein bisschen zeitverzögert aus Los Angeles und kürt am Ende Jacky zu „Germany’s Next Topmodel“ 2020.

 

Cordoba 2.0

 

Jetzt einmal die Karten auf den Tisch: Wirklich mitgefiebert haben wir in diesem Jahr mit keiner der Finalistinnen. Nachdem Anastasia das Feld räumen musste und uns klar wurde, keine weiteren metaphorischen Glanzleistungen ihrer freien Rede erleben zu dürfen, war es uns relativ barre, wer das Rennen um den begehrten Titel machen wird. Als gebürtige Österreicherin möchte man meinen, sich zumindest mit der Austro-Fraktion solidarisieren zu müssen, jedoch würde selbst dem größten National-Populisten in Anbetracht der achtlosen Denglisch-Verwässerung unserer Sprache hierbei das Herz bluten.

 

Und weil Deutschland das 2 zu 3 in Cordoba 1978 auch – anders als wir Österreicher glauben – schon am nächsten Tag wieder verdaut hatte, führt neben den zwei österreichischen Mädchen im Topmodel-Cast auch noch der Vorarlberger Fotograf Christian Anwander statt Heidi Klum in der Düsseldorfer Dome-Arena durch den Abend. Allerdings ausschließlich unter der Prämisse ständig eine Kamera um den Hals gehängt zu haben, damit ja keiner auf die Idee kommt, der würde das hauptberuflich machen. Eine versierte Moderatorin aus der der Topmodel-Schmiede zu wählen – soll es ja ein paar davon geben – war offenbar keine Option.

 

Grundregel Nummer eins, um diese Show moderieren zu dürfen, ist, die Models mit eigenwilliger Anrede anzusprechen, weshalb Heidis „Määädchen“ sogleich von Christians „Göööörls“ abgelöst werden. Ein weiterer Schlag für den österreichischen Wortschatz. Hätte man auch das „a“ in Maaadln oder das „l“ in Dirndllll langziehen können, aber gut. Den Fehler, die Entscheidungsmacht aber ganz in die Hände eines Österreichers zu legen, begeht Heidi als Deutsche, die aus der Geschichte lernt, dann aber auch nicht. Also ko-moderiert sie munter per Video-Schaltung aus einem Reisekoffer heraus, wobei das längst nicht das Schrägste an der Sache ist. Der Situation geschuldet, hat die aus der Puppenkiste springende Klum nämlich plötzlich das Bedürfnis, die ZuseherInnen im Stil von „Seid ihr alle daaaa?“ zu befeuern und so ein neues Level der unterirdischen Konversation zu erreichen. Ein Glück, dass das Publikum an diesem Abend bester Laune ist und alles verzeiht. Kommt deren Beifall nämlich aus der Konserve. Bei einer Moderatorin aus dem Koffer kann das allerdings wirklich niemanden mehr verwundern.

 

Von den ersten Schritten … und den letzten

 

Als futuristische Roboter betreten die vier Finalistinnen erstmals die Bühne mit der hoffnungsvollen Kunde „Ich werde heute Germany’s Next Topmodel 2020“. Bei zumindest einer wird sich das bewahrheiten, wenn auch diese nicht verschont bleibt, sich nach dem Gesagten ein Blech-Überraschungsei über den Kopf zu ziehen und für den Rest des Walks inkognito zu bleiben. Zumindest muss man sich jetzt um die Gefahr einer Tröpfcheninfektion keine Sorgen machen. Ein bisschen mehr Anzüglichkeit braucht es dann in einer Model-Show aber doch, weshalb sich Sarah und Jacky wie einst Janet Jackson ein Stückchen Stoff von der Brust reißen. Warum ist nicht ganz klar, aber ein bisschen mehr Atmungsaktivität kann bei einer mehrstündigen Bühnen-Show definitiv nicht schaden.

 

Um sich vor Anordnungen wie diesen zu schützen, haben die Models im „Be Yourself Walk“ die einzigartige Möglichkeit, diesen inhaltlich und optisch selbst zu gestalten. „So viel Raum für Kreativität“, freuen sich die Models, wenn auch keine in Betracht zieht, einen Walk mal nicht auf den Hinterbeinen zu absolvieren. So gelangt Sarah durch die Toilettentüre einer Bergalm hinaus auf die „Victoria’s Secret“-Laufstege dieser Welt. Maureen ist in einem Hauch von Nichts vorrangig crazy in love mit sich selbst, weil der konservativ angehauchte Papa dem „Outfit“ wohl kaum etwas abgewinnen wird können; und Jacky schreitet mit hymnischer Gladiatoren-Musik wie der Bezwinger eines Imperators über den Catwalk, wenn auch dieser im alten Rom nicht ständig über sein eigens ausgewähltes Kleid gestolpert wäre.

 

Bei Lijanas Auftritt schlägt die Stimmung um – nicht die des imaginären Publikums, das heute sowieso zu allem applaudiert, sondern die eigene. Spätestens seit dem Auftritt beim Sat1-Frühstücksfernsehen ist klar, dass Lijana mittlerweile auf alles andere aus ist, als auf den Topmodel-Thron. Nämlich auf eine Rückkehr zur Normalität fernab von Cyber-Mobbing und Gewaltandrohungen im Netz. Also steigt sie freiwillig aus und beendet ihre GNTM-Laufbahn mit einer Entschuldigung. Das tut selbst mir weh. Parodie und Ironie muss man als Person des öffentlichen Lebens verkraften. Hass und Hetze jedoch nicht.

 

Kleine Persönlichkeiten ganz groß

 

„Jetzt sind alle weiter! Eine unerwartete Entscheidung“, zeigt sich Improvisationskünstler Christian sichtlich überrascht. Heidi, die das Prozedere eigentlich aus dem Vorjahr schon gewohnt ist, sollte künftig überlegen, vielleicht doch sechs Models ins Finale mitzunehmen und nicht in LA eine Ehrenrunde zu drehen. Vor allem wenn Tamaras Backstage-Moderationen locker an die Souveränität ihrer Catwalk-Künste herankommen und man sich fragt, was das geringere Übel ist. Zurück also zu jenen Kandidatinnen, die der Modelmama keine weitere Abfuhr erteilen können: den Top 20. Die haben nun die Ehre, sich in den Klamotten des wohl einzigen Designers zu präsentieren, der statt seiner Mode lieber sich selbst inszeniert. Und dann auch noch in einem getigerten Cabriolet. Da Fran Drescher alias „Nanny Fine“ wohl ganz wie Modelmama Heidi mit keiner Einreisebewilligung beglückt wurde, kann es sich also nur um einen handeln: Philipp Plein. Und der kommt mit tollen News: So darf nicht nur die Gewinnerin mit ihrem Gesicht die neue Parfum-Kampagne des Designers zieren (das ist ja Pillepalle nebst all den anderen Preisen), sondern auch Design-Superstar Philipp Plein selbst! Ein Verkaufsschlager - seh ich jetzt schon. Kaufen 14-jährige Mädchen ein Produkt grundsätzlich lieber, wenn ein Mitt-Vierziger mit Halbglatze drauf zu sehen ist.

 

Von der einen überbordenden Persönlichkeit, geht es ohne Verschnaufpause gleich zur nächsten: So bittet Heidi jetzt die, in ihren Worten, „größten Persönlichkeiten“ der Topmodel-Geschichte auf die Bühne. Sie alle sollen dazu beigetragen haben, die Medien- und TV-Landschaft nachhaltig zu prägen. Wir sprechen hier aber nicht von Bruce Darnell und Lena Gercke, sondern von Theresia Fischer und Gisele Oppermann, die zwar mir ein Begriff sind, aber man gerade vielleicht deshalb nicht von einer Allgemeinkenntnis ausgehen sollte. Und doch bin ich enttäuscht, in dem Ensemble skurriler Gestalten zwar Sara Kulka und Jacqueline Thießen zu entdecken, nicht aber Gina Lisa-Lohfink und Sarah Knappik. (Allerdings kann die Aussage „My air was away“ in Corona-Zeiten auch unangenehme Reaktionen der Konzernsicherheit hervorrufen.) Auch dass man Klaudia mit K weiterhin von einem lebensgroßen Buchstaben verfolgen lässt, halte ich für etwas ausgelutscht. Apropos ausgelutscht: Dass es sogar Micaela Schäfer – wenn auch als griechische Walküre verkleidet – in die Liste der außergewöhnlichen Gentlemen geschafft hat, spricht vielleicht nicht für den stabilen Berufsweg eines im TV bekannt gewordenen Models, aber definitiv für den Wandel der Heidi Klum, die sich noch vor wenigen Jahren eher nicht mit der Karriere einer ehemaligen Miss Venus geschmückt hätte.

 

Cut!

 

Da so ziemlich jeder zweite Hanswurst von links seine 15 Minuten Fame in dieser Final-Show ergattert hat, ist es nun wieder an der Zeit, sich den verbliebenen Kandidatinnen zu widmen. Nachdem Maureen ohne jegliche Erklärung mit dem dritten Platz aus dem Wettbewerb schied, buhlen also nun Jacky und Sarah um die Krone. Zur Unterstützung schicken die Familien noch schnell ein paar authentisch aufgesagte Videobotschaften. Von "Du bist unser Doppmodl" aus Österreich bis zum auswendig gelernten „Wir sind sehr stolz auf dich“ ist alles dabei. Nur nicht Jackys Windhunde Chester und Maggie, die man angesichts der Prioritätensetzung des angehenden Topmodels auch um eine kurze Wortspende hätte bitten können.

 

Als dann endlich Jackys Name fällt, kann es die 21-jährige kaum glauben. Hat sie als Nachzüglerin wirklich das Rennen für sich entschieden. Auch den anderen scheint der Aspekt der Nachrückerin fast wichtiger zu sein als jener der dauerhaft soliden Leistung. Als hätte man beim Zeitpunkt ihres Dazustoßens schon die halbe Staffel abgedreht gehabt und nicht nur die erste Episode, in der uns bis auf die strauchelnde Nina-Sue, die sich kurz vor ihrem ersten Catwalk Öl auf die Füße schmierte, kaum jemand in Erinnerung geblieben ist. Zu diesem Zeitpunkt hätte man auch Vivian und Konsorten noch problemlos hinein- und hinausschmuggeln können und es wäre wohl kaum jemandem aufgefallen. Mein Papa – auch diese Woche wieder beim GNTM-Schauen zumindest körperlich anwesend und pünktlich zum „Puppet Walk“ aus seiner Tiefschlafphase erwacht – zieht Resümee: „Haben sie sehr gut geschnitten“, lobt er die soeben zu Ende gegangene Show. Was auch stimmen würde, wenn man auf die 90 Minuten Sendezeit, in denen er sich in anderen Sphären aufhielt, verzichtet hätte. Allerdings wüssten wir dann nicht, dass Jacqueline Thießen einen Master in Sozialökonomie hat und das wäre doch wirklich schade.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0